Vorstellung der Ergbnisse der Studie #Afrozensus

Afrozensus 2020

Anti-Schwarzer Rassismus in Deutschland weit verbreitet

Vorstellung der Ergbnisse der Studie #Afrozensus 2020


Illustration: Hélène Baum-Owoyele

Illustration: Hélène Baum-Owoyele

Fast 6.000 Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen in Deutschland nahmen an der Online-Umfrage #Afrozensus teil. Damit liegen nun erstmals umfassende Daten zu ihren Lebensrealitäten, Rassismuserfahrungen und Engagement vor. Die Ergebnisse des #Afrozensus deuten darauf hin, dass Anti-Schwarzer Rassismus (ASR) in Deutschland weit verbreitet und in Institutionen verankert ist. Kriminalisierung, Exotisierung und Sexualisierung sind nur drei der zahlreichen Muster, durch die sich Anti-Schwarzer Rassismus auszeichnet und die viele Befragte erleben. Um Anti-Schwarzen Rassismus im Ansatz zurückzudrängen, ist deshalb ein Fokus auf das Empowerment Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen notwendig.

Die Umfrage lief vom 20.Juli bis 06. September 2020.

Der Bericht steht auf https://afrozensus.de zum Download zur Verfügung.

 

Ausgewählte Ergebnisse:

● In Deutschland leben über 1 Million Menschen afrikanischer Herkunft. Bis jetzt gab es über diese Gruppe kaum weitere statistische Angaben. Die Diversität der Gruppe zeigt sich eindeutig bei den Teilnehmenden der Umfrage:

  • Sie sind in 144 Ländern geboren. Die meisten davon in Deutschland (2.822 Personen). Danach folgen die USA (111), Nigeria (81) und Ghana (76).
  • Drei von zehn Afrozensus-Befragten haben zwei afrikanische/ afrodiasporische Eltern (33,9 %) während sieben von zehn ein afrikanisches/ afrodiasporisches Elternteil hat (66,1 %).
  • 1 von 4 der Befragten hat keinen Migrationshintergrund. Diese Gruppe wird in großen Bevölkerungsstudien nicht identifiziert, da hier nur der statistische Migrationshintergrund erhoben wird. Der Afrozensus hat zusätzlich die Selbstpositionierung der Befragten (z. B. Schwarz, afrikanisch und/oder afrodeutsch) erfragt.
  • Die meisten Befragten sprechen 3 Sprachen.

● Der Afrozensus validiert und bestätigt Alltagserfahrungen: Anti-Schwarzer Rassismus wirkt spezifisch und ist ein sektorübergreifendes Problem in Deutschland. Insgesamt wurden 14 Lebensbereiche untersucht (z. B. Gesundheit, Bildung, Ämter & Behörden, Wohnungsmarkt etc.). Es gibt keinen Lebensbereich, in dem Diskriminierung und Rassismus keine umfassenden Probleme sind.

● Die Befragten sind überdurchschnittlich engagiert: 46,8 % geben an, ehrenamtlich aktiv zu sein, die meisten davon im Bereich Soziales.

Verstärkt wurde ASR in den letzten fünf Jahren laut 36,5 % der Befragten durch rassistische Reaktionen auf erhöhte Zuwanderung von geflüchteten Menschen seit 2015 und die damit verbundene Politik (60,4 %), der Aufstieg, die Wahlerfolge und die Parolen der Partei „Alternative für Deutschland” (31,5 %) sowie die Reproduktion von Anti-Schwarzem Rassismus in Medien und Berichterstattung (14,5 %).

Abgeschwächt wurde ASR in Deutschland in den letzten fünf Jahren laut 36,5 % der Befragten aufgrund der Black Lives Matter-Bewegung, antirassistische Bewusstseins- und Aufklärungsarbeit (27,4 %) sowie durch Schwarze Medienpräsenz und die sozialen Medien (16,2 %). Hier zeigt sich, dass die Verminderung von Anti-Schwarzem Rassismus zuallererst dem Aktivismus Schwarzer Menschen zugeschrieben wird.

Im Detail: Diskriminierungs- und Rassismuserfahrung

● Anti-Schwarzer Rassismus wirkt spezifisch, u. a. über drei Mechanismen:

  • Exotisierung: Über 90 % der Befragten geben an, dass ihnen ungefragt in die Haare gegriffen wird. Das ist ein Beispiel für das Othering und die Exotisierung Schwarzer Menschen.
  • Sexualisierung: Aber auch die Sexualisierung Schwarzer Menschen ist eine häufige Erfahrung. Insgesamt geben fast 80 % an, auf Dating-Apps sexualisierte Kommentare bezüglich ihres Aussehens bzw. ihrer ‘Herkunft’ zu erhalten.
  • Kriminalisierung: Auch die Kriminalisierung ist eine geteilte Erfahrung. Über 56 % geben an, gefragt zu werden, ob sie Drogen verkaufen und über 56 % geben ebenfalls an, ohne Grund von der Polizei kontrolliert zu werden.
    Auch die Aberkennung von Kompetenzen, Entindividualisierung und Homogenisierung gehören zu weiteren Mechanismen, die sich in den Daten zeigen.

Schlechte Erfahrungen, wenn man sich wehrt

Wenn sich Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen gegen Diskriminierung wehren, machen sie oft schlechte Erfahrungen. Über 90 % geben an, dass ihnen nicht geglaubt wird, wenn sie Rassismus ansprechen. Auch unabhängig von Diskriminierungssituationen geben die Befragten an: Wenn sie Kritik äußern, wird ihnen vorgeworfen, wütend zu sein. Diese Erfahrung teilen 86 % der Befragten.

Gesundheitssektor

66,7 % stimmen dieser Aussage zu, “Mein*e Ärzt*in nimmt meine Beschwerden nicht ernst”.

Bildung

Zwei Drittel der Afrozensus-Befragten (67,6 %) geben an, dass sie aufgrund rassistischer Zuschreibungen in der Schule/Universität bei gleicher Leistung schlechtere Bewertungen als andere Mitschüler*innen/Kommiliton*innen erhalten.

Unterschiede zwischen Teilgruppen: Neben den geteilten Erfahrungen mit Anti-Schwarzem Rassismus, gibt es aber auch signifikante Unterschiede. Besonders von Diskriminierung betroffen sind trans*, inter* und nicht-binäre Menschen, Befragte mit Beeinträchtigung und/oder Behinderung sowie Schwarze Menschen mit zwei afrikanischen oder afrodiasporischen Elternteilen.

  • Im Bereich Gesundheit und Pflege erfahren z. B. Befragte trans*, inter* und nicht-binäre Menschen besonders häufig Diskriminierung. Im Vergleich zu Cis-Menschen geben sie hier am häufigsten an, Diskriminierung zu erleben (81,7 % von n = 104). Von den Cis-Männern geben 50,3 % an, in diesem Bereich diskriminiert worden zu sein und von den Cis-Frauen 67,1 %.
  • 8 von 10 Befragten mit Beeinträchtigung geben an, im Kontakt mit Ämtern und Behörden diskriminiert zu werden (81,6 % von n = 267) . Unter den Befragten ohne Beeinträchtigung sind es 6 von 10 (62,8 % von n = 1175).
  • Auf dem Wohnungsmarkt erleben u. a. Befragte mit zwei afrikanischen / afrodiasporischen Elternteilen häufig Diskriminierung. 83,4 % geben an, auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert worden zu sein. Das ist deutlich häufiger, als Befragte mit einem afrikanischen Elternteil (65,9 % von n = 1036).

Dilemma der Reaktion

Im Bericht wurde das Dilemma der Reaktion identifiziert: Egal welchen Weg Befragte individuell wählen, ob sie Anti-Schwarzen Rassismus ignorieren oder relativieren, oder aktiv kritisieren, beides ist mit Kosten für die Befragte verbunden und es kann immer sein, dass die Diskriminierung weiter zunimmt.

Was muss sich ändern?

● Empfehlungen an Politik und Verwaltung

  • Finanzielle Förderung: Empowerment muss als strategisches Ziel das Demokratiefördergesetz strukturieren.
  • Institutionalisierung: Es braucht Empowerment-Infrastruktur, u. a. in Form von Communities-Zentren.
  • Weil Anti-Schwarzer Rassismus spezifisch wirkt, sind auch spezifische Maßnahmen notwendig:                                                                                                                       – Aktionspläne zur Bekämpfung von Anti-Schwarzem Rassismus und zum Empowerment Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen
    – Beratungsstellen für Betroffene von Anti-Schwarzem Rassismus

● Empfehlungen an Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Communities

Wir machen also unterschiedlich häufig Erfahrungen mit sich überschneidenden Formen von Diskriminierung. Deshalb ist es wichtig, die Anstrengungen für notwendige Bündnisse und communities-internen Austausch zu Lebensrealitäten und struktureller Diskrimierung zu intensivieren. Der Vulnerabilität von Teilgruppen sollte mit Ressourcen, Räumen sowie solidarischer Verantwortung und Communities-Care begegnet werden.

Über den #Afrozensus:

Der #Afrozensus ist ein gemeinschaftliches Projekt von Each One Teach One (EOTO) e.V. und Citizens For Europe (CFE) und wurde vom Deutschen Zentrum für Integrations und Migrationsforschung (DeZIM), Abteilung Konsens und Konflikt, Steffen Beigang, Prof. Dr. Sabrina Zajak und Dr. Ralf Wölfer (quantitative Forschung) sowie der Alice Salomon Hochschule, Prof. Dr. Iman Attia (qualitative Forschung) als wissenschaftliche Kooperationspartner*innen begleitet.