Fast 6.000 Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen in Deutschland nahmen an der Online-Umfrage #Afrozensus teil. Damit liegen nun erstmals umfassende Daten zu ihren Lebensrealitäten, Rassismuserfahrungen und Engagement vor. Die Ergebnisse des #Afrozensus deuten darauf hin, dass Anti-Schwarzer Rassismus (ASR) in Deutschland weit verbreitet und in Institutionen verankert ist. Kriminalisierung, Exotisierung und Sexualisierung sind nur drei der zahlreichen Muster, durch die sich Anti-Schwarzer Rassismus auszeichnet und die viele Befragte erleben. Um Anti-Schwarzen Rassismus im Ansatz zurückzudrängen, ist deshalb ein Fokus auf das Empowerment Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen notwendig.
Die Umfrage lief vom 20.Juli bis 06. September 2020.
Der Bericht steht auf https://afrozensus.de zum Download zur Verfügung.
● In Deutschland leben über 1 Million Menschen afrikanischer Herkunft. Bis jetzt gab es über diese Gruppe kaum weitere statistische Angaben. Die Diversität der Gruppe zeigt sich eindeutig bei den Teilnehmenden der Umfrage:
● Der Afrozensus validiert und bestätigt Alltagserfahrungen: Anti-Schwarzer Rassismus wirkt spezifisch und ist ein sektorübergreifendes Problem in Deutschland. Insgesamt wurden 14 Lebensbereiche untersucht (z. B. Gesundheit, Bildung, Ämter & Behörden, Wohnungsmarkt etc.). Es gibt keinen Lebensbereich, in dem Diskriminierung und Rassismus keine umfassenden Probleme sind.
● Die Befragten sind überdurchschnittlich engagiert: 46,8 % geben an, ehrenamtlich aktiv zu sein, die meisten davon im Bereich Soziales.
● Verstärkt wurde ASR in den letzten fünf Jahren laut 36,5 % der Befragten durch rassistische Reaktionen auf erhöhte Zuwanderung von geflüchteten Menschen seit 2015 und die damit verbundene Politik (60,4 %), der Aufstieg, die Wahlerfolge und die Parolen der Partei „Alternative für Deutschland” (31,5 %) sowie die Reproduktion von Anti-Schwarzem Rassismus in Medien und Berichterstattung (14,5 %).
● Abgeschwächt wurde ASR in Deutschland in den letzten fünf Jahren laut 36,5 % der Befragten aufgrund der Black Lives Matter-Bewegung, antirassistische Bewusstseins- und Aufklärungsarbeit (27,4 %) sowie durch Schwarze Medienpräsenz und die sozialen Medien (16,2 %). Hier zeigt sich, dass die Verminderung von Anti-Schwarzem Rassismus zuallererst dem Aktivismus Schwarzer Menschen zugeschrieben wird.
● Anti-Schwarzer Rassismus wirkt spezifisch, u. a. über drei Mechanismen:
● Schlechte Erfahrungen, wenn man sich wehrt
Wenn sich Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen gegen Diskriminierung wehren, machen sie oft schlechte Erfahrungen. Über 90 % geben an, dass ihnen nicht geglaubt wird, wenn sie Rassismus ansprechen. Auch unabhängig von Diskriminierungssituationen geben die Befragten an: Wenn sie Kritik äußern, wird ihnen vorgeworfen, wütend zu sein. Diese Erfahrung teilen 86 % der Befragten.
● Gesundheitssektor
66,7 % stimmen dieser Aussage zu, “Mein*e Ärzt*in nimmt meine Beschwerden nicht ernst”.
● Bildung
Zwei Drittel der Afrozensus-Befragten (67,6 %) geben an, dass sie aufgrund rassistischer Zuschreibungen in der Schule/Universität bei gleicher Leistung schlechtere Bewertungen als andere Mitschüler*innen/Kommiliton*innen erhalten.
● Unterschiede zwischen Teilgruppen: Neben den geteilten Erfahrungen mit Anti-Schwarzem Rassismus, gibt es aber auch signifikante Unterschiede. Besonders von Diskriminierung betroffen sind trans*, inter* und nicht-binäre Menschen, Befragte mit Beeinträchtigung und/oder Behinderung sowie Schwarze Menschen mit zwei afrikanischen oder afrodiasporischen Elternteilen.
● Dilemma der Reaktion
Im Bericht wurde das Dilemma der Reaktion identifiziert: Egal welchen Weg Befragte individuell wählen, ob sie Anti-Schwarzen Rassismus ignorieren oder relativieren, oder aktiv kritisieren, beides ist mit Kosten für die Befragte verbunden und es kann immer sein, dass die Diskriminierung weiter zunimmt.
● Empfehlungen an Politik und Verwaltung
● Empfehlungen an Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Communities
Wir machen also unterschiedlich häufig Erfahrungen mit sich überschneidenden Formen von Diskriminierung. Deshalb ist es wichtig, die Anstrengungen für notwendige Bündnisse und communities-internen Austausch zu Lebensrealitäten und struktureller Diskrimierung zu intensivieren. Der Vulnerabilität von Teilgruppen sollte mit Ressourcen, Räumen sowie solidarischer Verantwortung und Communities-Care begegnet werden.
Der #Afrozensus ist ein gemeinschaftliches Projekt von Each One Teach One (EOTO) e.V. und Citizens For Europe (CFE) und wurde vom Deutschen Zentrum für Integrations und Migrationsforschung (DeZIM), Abteilung Konsens und Konflikt, Steffen Beigang, Prof. Dr. Sabrina Zajak und Dr. Ralf Wölfer (quantitative Forschung) sowie der Alice Salomon Hochschule, Prof. Dr. Iman Attia (qualitative Forschung) als wissenschaftliche Kooperationspartner*innen begleitet.